Diese Woche habe ich ein neues interessantes Projekt gescannt.
Es ging um eine fertig konstruierte Treppenanlage: 7,20 Meter hoch, 1,5 Meter breit und im Grundriss gebogen.
Zwischen den Etagen-Podesten hat jeder Treppenlauf nochmal ein eigenes Zwischenpodest.
Vorab hatte ich ein 3D-Modell der Treppe bekommen.
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Die Untersicht soll aus einer 3D-gewölbten Gipsfaser-Konstruktion über CNC gefertigt werden und wird in handlichen Einzelteilen dort montiert.
Die Gewölbeplanung ist nicht Teil meiner Aufgabe.
Bei der Produktion der Stahltreppe wurde die Planung nicht genau eingehalten, und obendrein ist die gesamte Treppe beim Abladen aus dem Kranhaken gefallen, so dass sie sich wahrscheinlich etwas verzogen hat. Für die Untersichtgewölbeplanung wird die tatsächliche Form gebraucht. Genau dafür gibt es 3D-Scanner!
Die Baustelle liegt in Papenburg auf der Werft, an Bord eines 340 Meter langen Kreuzfahrtschiffs. Dort verbindet die Atrium-Treppe die Decks 3 bis 5.
Ich war vorher noch nie auf einer Werft. Beim nächsten Scan werde ich ganz sicher ein Paar geeignete Rollen unter meinem Messkoffer haben.
Der Weg vom Parkplatz bis zur Treppe war mehr als 1 Kilometer zu Fuß, dazwischen lag eine Sicherheitseinweisung, eine Einfuhr-Werkzeugliste, ein Werksausweis und zwei ganze Stunden Zeit. Bürokratie und Sicherheit. Aufwendig, aber auch nützlich.
Auf dem Deck angekommen, war die Treppe vor lauter Gerüsten kaum zu sehen.
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Insgesamt überdeckt sie eine Grundrissfläche von etwa 16 x 12 Metern, so groß wie ein Einfamilienhaus.
Die vielen Gerüste erfordern mehr Scanner-Standorte als ein freistehendes Bauwerk, aber so ungefähr wusste ich das ja vorher. Kletterei und Akrobatik inklusive.
Mit 50 Standorten war die Arbeit vor Ort getan. Ein paar Stunden mit hoher Konzentration, immer im Blick haben, dass niemand am Scanner wackelt, darauf achten, dass das andere Werkzeug an der Großbaustelle keine Beine bekommt, und auf jeden Fall genug Scans machen, dass jeder Winkel der Treppe nachvollziehbar im Kasten ist. Die Baustelle ist mehr als 300 km entfernt und der Zugang mit Hindernissen verbunden.
Als Zwischenergebnis liegt ein wilder Haufen Scans auf dem Bildschirm, der wie ein 3D-Puzzle sortiert werden will. Die automatischen Funktionen helfen nicht wirklich weiter, da ist Handarbeit angesagt, und bei jedem Scan wird sofort ein Genauigkeitsabgleich gemacht, und so lange zurecht gerückt, bis das Ergebnis stimmt. Verschobene Scans sind absolut tabu, die Konstruktion MUSS passen. Mit dem manuellen Zusammenbau habe ich bessere Erfahrungen gemacht als mit der Automatik. Die Fehlersuche in 50 Scans kann aufwendig sein, und die Korrekturen ebenfalls. Zudem weiß ich nie genau, ob nur EIN Scan daneben liegt, oder ob sich weitere an diesen Fehler angehängt haben.
Beim Scannen wurde das gesamte Atrium als Umgebung mit aufgenommen. Auch die etwa 40 Elektriker, Schweißer Lüftungsbauer, Security-Leute und sonstige Monteure. Material, Leitern, Menschen, nichts steht wirklich still. (Insgesamt arbeiten etwa 2000 Leute auf dem Schiff.) Und einmal hat das Stativ doch gewackelt. Das Ende eines Schlauches, der über den Boden gezogen wurde, hat das Stativ erwischt. Also: diesen Scan verwerfen und gleich neu machen.
Das zusammengesetzte Atrium habe ich als niedrig aufgelöste e57-Datei abgelegt. Möglicherweise hat mein Auftraggeber ja bezüglich der Montage Interesse daran.
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Im nächsten Schritt geht es ans Bereinigen der Punktwolke, alles was unnötig ist, kommt raus. Zuletzt bleibt die Treppe mit den Podesten und der untere Boden in diesem Bereich.
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Als Vorabzug habe ich eine geringe Punktdichte gewählt, so dass die Datei nur 33 MB umfasst und blitzschnell auf dem Bildschirm aufgebaut ist.
Dann lade ich die Modelldatei dazu und sehe, wie weit Modell und Punktwolke gegeneinander abweichen. Dafür ist die Visualisierung in Dicam sehr nützlich, auch die Funktionen zur Ausrichtung der Punktwolke sind sehr gut und arbeiten schnell und sauber.
Weil die reale Treppe an mehreren Stellen deutlich vom Planungsmodell abweicht, ist es notwendig, die Punktwolke noch mehrmals um einen geringen Betrag zu verschieben, so dass in vielen Bereichen eine gute Übereinstimmung gegeben ist, und die abweichenden Bereiche deutlich sichtbar werden. So ist zum Beispiel die Geschosshöhe der unteren Treppe um 5 cm geringer als geplant, die Konstruktion weicht auch an einigen Stellen im Grundriss und in verschiedenen Höhen ab.
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Modell und Scan sind jetzt optimal überlagert. Jetzt gehe ich noch einmal ins Punktwolkenprogramm und richte die Scandaten mit den in Dicam ermittelten Werten so aus, dass die finale Punktwolke ohne jegliche Korrektur mit dem Modell übereinstimmt, das ich vom Kunden bekommen hatte. Damit ist gewährleistet, dass Modell und Punktwolke im Viewer und im CAD meines Kunden zweifelsfrei übereinstimmen, denn im Viewer habe ich keine Möglichkeit, die beiden Datensätze gegeneinander zu verschieben. Das habe ich mir eigentlich für jeden Scan inzwischen zur Regel gemacht, so dass ich bedenkenlos ein Modell und eine deckungsgleiche e57-Datei weitergeben kann. Hier bekommt der Kunde eine hochauflösende Punktwolke im 2mm-Raster, weil hier viele kleine Details abgebildet werden müssen.
An "normalen" Baustellen gebe ich Daten im 20mm-Raster weiter und arbeite selbst im 8-10mm-Raster. Das ist auf jeden Fall detailreich genug.
Das Schiff wird dieses Jahr im Oktober ausgeliefert und geht im Dezember auf Jungfernfahrt.
Wann immer ich der "Disney Treasure" zufällig auf dem Ozean begegne, winke ich meiner Treppe zu.
Wahrscheinlich bin ich in zwei Jahren auf dem nächsten Disney-Schiff und scanne wieder eine Treppe.
Und bis dahin wird es noch viele andere große und kleine Projekte geben, deren Abmessungen digitalisiert werden wollen.